Niemand sollte vor seinem Tod sterben: Ein Mutmachbuch für Schwerkranke und ihre Angehörigen.

In kritischer Denkerpose schaut uns Alexander Jorde, Gesundheits- und Krankenpfleger in Ausbildung, von der Titelseite seines kürzlich im Tropen Verlag erschienen Buchs an. Die bereits seitRodins Bronzeskulptur „Der Denker“ für Buchcover sowie Bewerbungsfotos etwas abgenutzte Körperhaltung darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Jorde eine aktuelle Botschaft für seine Mitbürgerinnen und Mitbürger hat: Die Zustände in der Pflege sind unhaltbar und, wie sein Titel es diagnostiziert, die Pflege in Deutschland ist krank. Spätestens nachseinem durchaus charismatischen Auftritt in der Wahlarena im September 2017, an welchen sich bisher viele weitere Auftritte in Talk-shows anschlossen, dürfte er auch Bekanntheit beim gesunden Durchschnittsbürger ohne pflegebedürftige Angehörige erlangt haben. Jorde reitet nun weiter auf der Welle seiner medialen Aufmerksamkeit, um in einer Facharbeit ähnelnden Abhandlung seine Gedanken und Einblicke zur pflegerischen Ausbildung im Krankenhaus-Kontext zu teilen. Spannend beantwortet er gleich in seiner Einführung die Frage, ob jeder Mensch in der Pflege arbeiten kann, um dann direkt auf das Thema „Pflegenotstand“ zu kommen. Hier und im weiteren Verlauf lesen sich seine Gedanken nicht nur als Sachbuch, sondern passagenweise als mit Vorsicht zu genießendes politisches Statement zur marktwirtschaftlichen Ausrichtung des Gesundheitssystems. Mit seinem Buch schließt er an die in der Wahlarena entfachte öffentliche Diskussion an, wie die jetzige Pflegesituation entstand und arbeitet anhand von Beispielen anderer Länder wie Norwegen, den Niederlanden, USA und Japan mögliche Strategien zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Pflegenden heraus. Im vorletzten Kapitel widmet er sich daran anschließend detaillierter den „Wegen aus dem Notstand“. Durch die emotionalen Einblicke in den Krankenhausalltag vorab und diedurchgehend einfach gehaltene Sprache lassen sich die Kapitel gut nachvollziehen. Zwar kann Deutschlands „Kranke Pflege“ leider nicht von Jorde geheilt werden, doch dies war, wie er selbst schreibt, auch gar nicht sein Anspruch. Doch lohnt sich die Lektüre seines Behandlungsplans für die ganz kritischen Lesenden allein schon durch die 178 sorgsam ausgewählten, teils wissenschaftlichen Quellen. Positiv hervorzuheben ist, dass der Mensch als Individuum und nicht als seine Krankheit bei Jorde im Vordergrund steht. Dies bezieht sich nicht nur auf das Verhältnis zwischen Pfleger/in und Patient/in, sondern ebenfalls auf seinen Ansatz, dass es nur der Gemeinschaft möglich ist, den Gesundheitszustand der Pflege zu verändern. Das Buch ist für den Einstieg in diese Thematik gut geeignet. Der Vorwurf, dass Jorde sich und sein Buch politisch instrumentalisiert oder instrumentalisieren lässt, bringt der Pflege trotzdem weitere öffentliche Aufmerksamkeit, die sie auch fast zwei Jahre nach dem Aufeinandertreffen von Jorde und Merkel dringend benötigt.

Sophie Hahne
Personalreferentin
Deutsche Fachpflege Gruppe

GD Ausgabe 45, Juli 2019

 

Alexander Jorde
Kranke Pflege. Gemeinsam aus dem Notstand
2. Druckauflage
Tropen 2019
211 Seiten
Preis: 17,00 Euro

www.klett-cotta.de/buch/Tropen-Sachbuch/Kranke_Pflege/101165#buch_beschreibung