Pflege ist stark! Gelebte Ideen und Zukunftsimpulse

Elisabeth Scharfenberg / Inga Teglas

Lauscht man den Gesprächen unter Pflegekräften, geht es oft um den geringen Verdienst, Überlastung und mangelnde Dienstplanung. Das Gefühl von Machtlosigkeit und Resignation ist deutlich zu spüren. Dieses Buch rüttelt wach. „Pflege ist stark“ zeigt vielfältige Wege zu mehr Eigenverantwortung und Selbstbestimmung der Pflegekräfte. Durch zahlreiche Beispiele, die zeigen, dass jeder etwas positiv in der Pflegelandschaft bewegen kann, statt nur zu quatschen, wie bereits auf dem Buchcover treffend zu lesen ist. Das Buch hat zwei Autorinnen. Elisabeth Scharfenberg war 12 Jahre in der aktiven Bundespolitik u.a. als pflegepolitische Sprecherin der Grünen tätig. Ihre aktuelle Arbeit widmet sie sich nun dem Einbringen ihrer Erfahrung u.a. im Aktivcamp Pflege, was im Buch vorgestellt wird. Inga Teglas ist Publizistin, Politikwissenschaftlerin und Teil des Team Scharfenberg.

Die ersten Kapitel widmen sich den Pflegenden als Akteure – von der Berufung zum Beruf sowie einem notwendigen Perspektiv- bis Paradigmenwechsel in der Führungsebene der stationären als auch ambulanten Pflege. Allgegenwärtig ist der gefühlte Mangel an Wertschätzung für die pflegenden Berufe. Zur Lösung wird in diesem Buch die Wichtigkeit der Kommunikation und der inneren Haltung aller Beteiligten sowie des eigenen Handlungsspielraums der Pflegenden beleuchtet z.B. in beruflich organisierten Gewerkschaften. Führungskräfte müssen den Mut aufbringen, mehr Verantwortung in die Hände der Pflegekräfte zu geben. Diese brauchen wiederum Mut, sich selbst mehr einzubringen. Das kann nur in einem von Vertrauen getragenen Arbeitsumfeld geschehen, da die Angst vor Fehlern und Konsequenzen tief verankert ist. Einige Schlagworte hierzu sind Teamentwicklung, Bedürfniswahrnehmung, gemeinsame Werte entwickeln, Schnittstellen, betriebliches Gesundheitsmanagement. Im ambulanten Bereich wird dazu das niederländische Konzept Buurtzorg vorgestellt, übersetzt so viel wie Nachbarschaftshilfe. Ein autonomes hierarchieloses Team aus Pflegekräften organisiert die Pflege rund um den zu Pflegenden und baut dazu ein soziales Netzwerk auf. Pflege-, Dienst- und Urlaubsplanung liegen komplett in der Hand des Teams, eine Zentrale unterstützt durch Schulungen, Coachings und im Bedarfsfall. Buurtzorg will ganzheitliche Pflege, Beziehungsgestaltung. Pflegende können wieder zu ihrer eigentlichen Berufung zurückfinden – dem Helfen. Buurtzorg ist nur eines der Beispiele, wie Pflege gestaltet werden kann. Diese Wege brauchen Willen zur Veränderung und Mut aller Beteiligten, hier Verantwortung zu übernehmen und umzudenken. In Deutschland lief das erste Pilotprojekt dazu sehr zögernd an. Das Warum ist in Kapitel 4 erläutert.

Der Ruf nach einem Perspektivwechsel zieht sich ebenfalls durch die folgenden Kapitel. Akademisierung als Chance, die Pflege handlungsfähiger und selbstbewußter zu machen. Zudem kommen Auszubildende wie Leonie Emmerich zu Wort, die im Zuge ihrer Ausbildung die Initiative „Pflege macht Schule“ ins Leben gerufen hat. Gemeinsam stark zeigen sich ebenfalls die Bündnisse und Organisationen, die in Deutschland bereits existieren. Das Open Space Aktivcamp Pflege, die Pflegekammer Rheinland-Pfalz und der Walk of Care, um nur einige zu nennen, die im Buch zu Wort kommen. Im vorletzten Kapitel werden Bedenken und Möglichkeiten der Digitalisierung in der Pflege beleuchtet. Angesichts der demografischen Entwicklung ist Digitalisierung aus Sicht von Entlastung der Pflegenden dringend notwendig. Schnell und doch behutsam wäre hier der Königsweg. Zum Abschluss äußern sich die beiden Autorinnen noch zum Thema, verbunden mit Leserstimmen, die ebenso fühlen und das Gejammer satthaben. Es wird berichtet, dass es bereits 1902 die erste Berufsorganisation in der Krankenpflege gab, die sich nicht mit „Das war schon immer so“ zufriedengeben wollte. Begründerin war Agnes Karll, von der folgendes Zitat stammt: „Wer soll denn unseren Beruf aufbauen, wenn wir es selbst nicht tun! Wir haben gar kein Recht zu verlangen, dass andere das tun. Selbstständigkeit ohne Verantwortung gibt es nicht, das muss sich jede einzelne von uns dauernd vor Augen halten.“

FAZIT: Wie an der Rezension zu erkennen ist, behandelt das Buch eine Vielfalt von aktuell brisanten Themen in der Pflegelandschaft. Oder gab es diese vielleicht schon immer? Das Buch „Pflege ist stark“ greift sie gesammelt auf und bürstet manches von hinten nach vorn ohne Denkverbote. Es ist für alle, die neugierig und offen gegenüber neuen Ideen sind und einen Blick über den Tellerrand werfen wollen. Perspektivwechsel, direkte und ehrliche Gedanken und Erfahrungsberichte mit Chancen und Grenzen ziehen sich als roter Faden durch das Buch. Durch aussagekräftige auflockernde Illustrationen, ähnlich wie auf dem Cover, werden die Texte unterstützt. Ein berührendes und Mut machendes Leseerlebnis abseits der bisherigen Komfortzone. In diesem Sinne ende ich mit den Worten von Dr. Eckart von Hirschhausen, der ebenfalls in diesem Buch zu Wort kommt: „Werden Sie sichtbar, hörbar, engagiert und danke für Ihre Arbeit, Sie werden gebraucht!“

Andrea Kaufmann, Pflegekoordinatorin, Pflege Daheim GmbH Tag & Nacht, Teltow

GD Ausgabe 45, Juli 2019

 

Elisabeth Scharfenberg / Inga Teglas
Pflege ist stark! Gelebte Ideen und Zukunftsimpulse
Vincentz Network Hannover 2018, 184 Seiten
Preis 26.90 Euro

www.vincentz.net